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Das 20. Jahrhundert ließ bürgerliches Leben in Weltkriegen, Inflation, Revolution und industriellem Massenmord versinken. Die Stetigkeit der bürgerlichen 'Normalität', an der sich die Individuen bis dahin ausrichten konnten, wurde zerstört. Wo die äußere Kontinuität des Bürgerlichen vergangen ist, kann Stetigkeit nur noch von den Individuen gestiftet werden. 'In steter Freundschaft', der Briefwechsel zwischen Leo Löwenthal und Siegfried Kracauer, ist ein Dokument des Aufbegehrens gegen den Verlust der Kontinuität. Er zeigt, wie zwei der bedeutendsten kritischen Intellektuellen des 20.…mehr

Produktbeschreibung
Das 20. Jahrhundert ließ bürgerliches Leben in Weltkriegen, Inflation, Revolution und industriellem Massenmord versinken. Die Stetigkeit der bürgerlichen 'Normalität', an der sich die Individuen bis dahin ausrichten konnten, wurde zerstört. Wo die äußere Kontinuität des Bürgerlichen vergangen ist, kann Stetigkeit nur noch von den Individuen gestiftet werden. 'In steter Freundschaft', der Briefwechsel zwischen Leo Löwenthal und Siegfried Kracauer, ist ein Dokument des Aufbegehrens gegen den Verlust der Kontinuität. Er zeigt, wie zwei der bedeutendsten kritischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts angesichts der Katastrophen ihre Freundschaft im Gleichklang mit ihren geistigen Positionen entwickeln und bewahren konnten. Der hier erstmals publizierte Briefwechsel, der etwa 180 Briefe umfaßt, beginnt im Jahre 1922 und endet erst mit Kracauers Tod im Jahre 1966. Er zeigt nicht nur die Beständigkeit der Freundschaft von Löwenthal und Kracauer, sondern auch, wie kompliziert das Beziehungsgeflecht zwischen Löwenthal, Kracauer, Adorno, Benjamin und Bloch oft war. Löwenthals letzte umfassende Rede, gehalten auf einer Konferenz zu Ehren von Siegfried Kracauer, vervollständigt den Band.'Die Briefe verhelfen uns zu dem Privileg, Mithörer eines lebhaften und bewegten Gespräches zwischen zwei Menschen zu werden, die einer Lebensform huldigten, deren Abgesang Benjamin bereits vorher in 'Deutsche Menschen' beschrieben hatte - etwas voreilig, wie man im Lichte dieser Briefe meinen könnte.'Aus dem Vorwort von Martin Jay
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2003

Deutsche Themen, deutscher Ernst
Der Briefwechsel zwischen Siegfried Kracauer und Leo Löwenthal
Seinem ersten Brief an Leo Löwenthal legte Siegfried Kracauer das Rückporto bei: „Es steckt der äußerste Egoismus dahinter, denn ich zwinge Sie so zum Schreiben und Sie werden mir noch vielleicht darüber fluchen.” Das war am 14. Januar 1921. Den letzten Brief an den elf Jahre Älteren schrieb Löwenthal am 10. November 1966 – zwei Wochen, bevor Kracauer starb. Ihr Briefwechsel, das Zeugnis einer großen Freundschaft, erlaubt einen Blick in das Lehrerzimmer der Frankfurter Schule und dokumentiert, wie in der Emigration aus deutschen Gelehrten amerikanische Wissenschaftler wurden.
Kracauer und Löwenthal gehörten, mit Martin Buber und Franz Rosenzweig, zum Kreis um den Rabbiner Nehemias Anton Nobel, dem Mittelpunkt der jüdischen Renaissance im Frankfurt der Zwanziger Jahre. Durch Kracauer lernte Löwenthal, der in Heidelberg studierte und seine Ferien in Frankfurt verbrachte, den 18 Jahre alten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer kennen; 1926 bereits wurde er Mitglied des Instituts für Sozialforschung.
Kracauer schrieb für die Frankfurter Zeitung, deren Berliner Feuilleton er seit 1930 leitete. Von Hause war er Architekt und Ingenieur, ausgestattet mit einer kompromisslosen Nüchternheit, die ihn allerdings manche Freundschaft kostete. So wirft er Ernst Bloch Mangel an Lauterkeit und das „Sichhinsteigern in die Ekstase” vor. Wenig später nennt er ihn einen „der Bohème entstiegenen brünstigen Schreihals, der sich als Prophet aufspielt”. Dagegen schätzte er den „zögernden Enthusiasmus” eines Max Brod und bewunderte den „fabelhaft gerechten” Karl Mannheim.
Innerhalb der Frankfurter Schule galten Kracauers unvoreingenommene Urteile über Bücher und Menschen oft als theoriepolitisch inkorrekt. Dem jungen Leo Löwenthal waren sie willkommener Anlass, eigene Ansichten zu überprüfen. Religiöse Leidenschaft und metaphysischer Drang waren auch ihm nicht fremd – doch nahm er Kracauers Kritik an seinen eigenen messianistischen Neigungen ernst. Dass Leo Löwenthal sich nach der Emigration in die USA schnell in die empirische Sozialforschung einarbeitete, hatte er auch der Skepsis Kracauers zu verdanken, der ihn schon 1926 gemahnt hatte, in der Gegenwart liege der Zugang zur Wahrheit im Profanen – und nicht in metaphysischen Schwärmereien.
Dabei war Kracauer kein Besserwisser. Verstärkt durch einen Sprachfehler, der ihn bei jeder öffentlichen Äußerung in Panik versetzte, wurde er zeit seines Lebens von Selbstzweifeln geplagt: „Ich habe eben gar keinen Glauben an mich.” Die Kehrseite des Selbstzweifels aber war eine groteske Überhöhung der Ziele, die er sich setzte. Stets wollte er für die Ewigkeit schreiben und las jahrelang keine einzige Zeile von Goethe – aus Neid.
Säuglingsgestammel
Löwenthal wirkt in seinen Briefen viel ausgeglichener; er blieb auf bescheidene Weise selbstbewusst, weil er Ziele erstrebte, die erreichbar waren. Nie hätte er, wie Kracauer zu Beginn seiner Arbeit an der Theorie des Films, sich vorgenommen, „ein classic” zu schreiben. Und zielte er doch einmal zu hoch, mahnte ihn Kracauer sofort, sich lieber „ein winziges Thema” zu suchen. Die wechselseitige Kritik, die Siegfried Kracauer und Leo Löwenthal an ihren Texten und Projekten übten, war beispielhaft in ihrer produktiven Ehrlichkeit.
Herausragendes Objekt ihrer Bewunderung wie ihres Neides und ihrer Kritik war und blieb Adorno. Im Vergleich mit seiner angestrengten Prosa wirkten selbst die „Skurrilitäten” Walter Benjamins wie „Säuglingsgestammel”. Schlimm genug, dass Adorno „rasend schnell” seine Dissertation über Husserl schrieb – aber er fand dabei noch Zeit genug für erotische Abenteuer! Kracauer war von „Teddie” so beeindruckt, dass er sich selbst „geistiger Homosexualität” bezichtigte. Um sich davon zu befreien, wagte er es, Adorno ins Gesicht zu sagen, dass er mit vielen seiner Texte überhaupt nichts anfangen konnte. Die Rache des so Kritisierten ließ nicht auf sich warten. Als Kracauer der Zeitschrift für Sozialforschung seine Auftragsarbeit über „Masse und Propaganda” einsandte, verbrauchte Adorno mehrere Rotstifte und schrieb stolz an Benjamin, außer den Hitler-Zitaten sei keine einzige Zeile stehen geblieben. Zum Zerwürfnis aber kam es, weil das Institut für Sozialforschung sich weigerte, Löwenthals Arbeit für das Institut mit einer Pension zu honorieren. Nur mühsam wurde der Bruch gekittet.
Es sind ausgesprochen deutsche Themen, die Kracauer wie Löwenthal über lange Jahre in ihren Briefen behandeln. Und deutsch sind auch der Ernst und der Enthusiasmus mit denen sie, politikfern und weltfremd, sich vorwiegend Problemen des Geistes hingeben. Umso eindrucksvoller der Wandel, der sich bei beiden in Amerika vollzieht. Mit zunehmender Sicherung der materiellen Existenz entwickelt sich bei beiden ein begeisterter Pragmatismus. Europa ist der Kontinent, dessen Denkmäler und Ruinen man noch besucht, von dem man aber nichts Neues mehr erwartet.
Besonders bewegend sind die stilistisch schmucklosen, in hastiger Alltagsprosa geschriebenen Briefe, die die Freunde miteinander wechseln, als Löwenthal bereits in Amerika arbeitet und Kracauer, in Marseille auf gepackten Koffern sitzend, verzweifelt auf eine Möglichkeit zur Ausreise hofft. Mit nie nachlassender Energie versucht Leo Löwenthal aus der Ferne, Kracauer zu helfen und hat schließlich Erfolg. Beider Briefe sind eindrucksvolle Dokumente der Mitmenschlichkeit, die in schrecklichen Zeiten überlebt.
WOLF LEPENIES
LEO LÖWENTHAL, SIEGFRIED KRACAUER: In steter Freundschaft. Briefwechsel 1921-1966. Hrsg. von Peter-Erwin Jansen und Christian Schmidt. Zu Klampen Verlag, Springe 2003. 292 Seiten, 24 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Für Wolf Lepenies stellt der Briefwechsel, der Leo Löwenthal von 1921 bis 1966 mit Siegfried Kracauer verband, ein beeindruckendes "Zeugnis einer großen Freundschaft" dar. Gleichzeitig würdigt er die Korrespondenz aber auch als interessanten Einblick in die Frankfurter Schule - Löwenthal war seit 1926 Mitglied des Instituts für Sozialforschung - und nicht zuletzt als Dokument dafür, wie die beiden Autoren im amerikanischen Exil zurechtkamen. Als ganz besonders berührend hat der Rezensent die Briefe empfunden, die sich die Autoren in jener Zeit schrieben, als Löwenthal bereits im sicheren amerikanischen Exil war, Kracauer dagegen noch immer in Marseille verzweifelt auf eine Ausreisemöglichkeit wartete. Insbesondere die Trostbriefe von Löwenthal, die auch sein Bemühen dokumentieren, seinem Freund zu helfen, haben Lepenies mit ihrer "schmucklosen, in hastiger Alltagsprosa" verfassten Form bewegt, wie er bekennt.

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'Der Briefwechsel zwischen Siegfried Kracauer und Leo Löwenthal, das Zeugnis einer großen Freundschaft, erlaubt einen Blick in das Lehrerzimmer der Frankfurter Schule. Beider Briefe sind eindrucksvolle Dokumente der Mitmenschlichkeit, die in schrecklichen Zeiten überlebt.' Wolf Lepenies, Süddeutsche Zeitung Lesen Sie hier eine Besprechung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf faz.net 'ein bewundernswertes Zeugnis von Mut und Menschenfreundlichkeit' www.titel-magazin.de 'Der Titel `In steter Freundschaft´, den die umsichtigen Herausgeber Peter-Erwin Jansen, der auch die Nachlassschriften Herbert Marcuses kenntnisreich betreut, und Christian Schmidt dem Briefwechsel Kracauer-Löwenthal gaben, trifft das Wesen dieser jahrzentelang aufrechterhaltenen Beziehung.' Lothar Baier, DeutschlandRadio 'Der nun auch Außenstehenden zugängliche Briefwechsel füllt diesen scheinbaren Gemeinplatz von nicht nur einem, sondern zwei interessanten Menschen im Leben.' Martin Büsser, Junge Welt 'So kann der Briefwechsel zwischen Leo Löwenthal und Siegfried Kracauer nicht nur als intellektuelles Portrait und eindrucksvolles Zeitdokument, sondern auch als Ausdruck einer allen Widrigkeiten widerstehenden Beziehung freundschaftlicher Loyalität und Solidarität, Zeugnis eines gelebten realen Humanismus, verstanden werden.' Widerspruch